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„Anne presste die zitternden Lippen zusammen, Tränen liefen ihr durchs Gesicht. Wie sehr hatte sie sich in den vergangenen Tagen darauf gefreut, dass nach den finsteren Jahren nun endlich wieder Hoffnung bestand. Stattdessen ereilte die Menschen in Bad Oeynhausen das schwerste Schicksal seit Beginn des Krieges. Sie wurden zu Vertriebenen in der eigenen Stadt.“

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War das jetzt noch Krieg oder schon Frieden? Nichts von beidem, überlegte Rosalie, sondern etwas Unbestimmtes dazwischen. Das alte Leben war zerschlagen, aber das neue hatte noch nicht angefangen. Eine Zeit des Vakuums, die Stunde Null. Was würde die Zukunft bringen?

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Anne betrachtete Rosalies blasses Gesicht im Schein der Nachttischlampe, das ihr so vertraut war, auch nach den Jahren der Trennung, und gleichzeitig so fremd.

„Wir sind eben unterschiedlich“, fuhr Rosalie fort und es lag ein harter Zug um ihren Mund. „Du willst erreichen, dass alles wieder so ist wie früher, und ich will, dass es nie wieder so wird.“

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Wir sind wie zwei Eisschollen im Meer, dachte sie, die immer wieder auf einander gestoßen sind und dabei im Laufe der Zeit ihre Ecken und Kanten abgeschliffen haben.