Mit Hanna nach Havanna


 

 Hier gibt es die ersten Kapitel meines Buches zum Einlesen...

 


1.
Es konnte nur drei Gründe geben, weshalb mein Chef heute Abend mit mir zum Essen ausgehen wollte:

1. Er war verliebt in mich.
2. Er würde mir den Posten der stellvertretenden Redaktionsleitung anbieten.
3. Er würde mir sagen, dass ich für den „Goldenen Griffel“ nominiert bin.

Am Montag hatte ich Olivers E-Mail erhalten, so knapp formuliert wie immer: „Muss was sehr Wichtiges mit dir besprechen. Können wir uns am Freitagabend um acht im Il Fiore dolce treffen?“
Ich hatte umgehend zugesagt („Geht klar“) und seitdem intensiv über alle möglichen Motive nachgedacht. Schließlich war ich zu der Erkenntnis gekommen, dass mindestens einer der drei genannten Gründe zutreffen musste – eine andere Option gab es einfach nicht. Als gelernte Naturwissenschaftlerin (ich habe ein Diplom in Physik) kannte ich mich schließlich damit aus, Sachverhalte zu beobachten und zu analysieren und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sache war ganz logisch: Der Anlass für seine Einladung in das Schwabinger Nobellokal Il Fiore dolce musste etwas Besonderes sein, vermutlich sogar etwas sehr Persönliches, denn über alles andere hätte Oliver ja zu den normalen Dienstzeiten in seinem Büro oder in der Kantine mit mir reden können. (Und nicht in einem Restaurant, das auf Deutsch „Die süße Blume“ hieß!) Deshalb stand an Punkt eins meiner Wahrscheinlichkeitsliste die Sache mit der Verliebtheit. Zwar hatte Oliver bislang keine direkten Andeutungen dieser Art gemacht, aber es gab einige Indizien. So war allgemein bekannt, dass er seit ein paar Monaten nicht mehr mit seiner Frau zusammen war, weil er sich – wie man in der Redaktion munkelte – in eine andere verguckt hatte. Wahrscheinlich in mich, denn er schaute mich seit einiger Zeit sehr speziell an. Olivers Blicke lagen irgendwo zwischen „Ich weiß etwas, das du nicht weißt“ und „Dein Leben wird demnächst eine spektakuläre Wendung nehmen“, und dabei lächelte er auf eine Weise, wie er früher nie gelächelt hatte.
Manche Männer brauchten eben ein bisschen länger, um zu erkennen, mit was für einer großartigen Frau sie da seit Jahren zusammenarbeiteten. Mir war schon klar, dass ich keine dieser klassischen Schönheiten war, nach der sich die Kerle reihenweise umdrehten, sondern eher eine Frau für den zweiten Blick. Meine Nase war etwas zu lang, meine Beine waren etwas zu kurz, und diese krausen dunklen Haare lagen spätestens einen Tag nach dem Friseurbesuch wieder so wirr um meinen Kopf wie immer. Aber ich war blitzgescheit. Und das wog so manche optische Unzulänglichkeit locker wieder auf.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, nach meinem Physikstudium noch einen Doktor zu machen, vielleicht sogar Professorin zu werden und den letzten ungeklärten Fragen der Wissenschaft auf den Grund zu gehen. Denn Forschen, Fragen und Tüfteln, das waren schon immer meine Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Doch dann übernahm ich in den Semesterferien einen Studentenjob, der alles veränderte.
Um mein Taschengeld aufzubessern, fing ich an, als Kabelträgerin bei Hello-TV zu arbeiten, und nachdem ich ein paar Sendungen hinter den Kulissen begleitet hatte, wurde mir klar: Das war es! Ich würde den Rest meines Lebens ganz sicher nicht in einem Labor zwischen Elektrometer, Laserdioden und Rastertunnelmikroskop verbringen, sondern Journalistin werden. Ich war perfekt für diesen Job geeignet – ausgestattet mit einer gehörigen Portion Sachkenntnis, kombiniert mit unersättlichem Wissensdurst. Gab es etwas Tolleres, als jeden Tag andere Menschen zu treffen, alle Fragen zu stellen, die man immer schon mal stellen wollte, und anschließend der ganzen Welt darüber zu berichten? Wunderbar! Genau diese Mischung war es, die mich dazu brachte, der Uni Lebwohl zu sagen und in der Fernsehredaktion anzuheuern. Zum Entsetzen meiner Eltern übrigens. Als Professoren für klinische Pharmazie beziehungsweise angewandte Thermodynamik hätten sie es lieber gehabt, wenn ich mein Leben ebenfalls dem Dienst der Wissenschaft gewidmet hätte. Aber als sie mich das erste Mal auf dem Bildschirm sahen, waren sie mit meiner Berufsentscheidung versöhnt. Sogar mein Vater war stolz auf mich und sagte: „Statt des Physik-Nobelpreises bekommst du dann eben bald einen ganz wichtigen Journalistenpreis! Vielleicht sogar den Goldenen Griffel!“ Das war gut möglich, denn natürlich trug ich bei Hello-TV längst keine Kabel mehr durch die Gegend, sondern hatte – auch Dank Olivers Unterstützung – ein bisschen Karriere gemacht. Allerdings hatte mein Chef mich noch nie zu einem privaten Treffen eingeladen. Bis zu dieser Mail am Montag.
Dass unser Chefredakteur offenbar wieder auf Freiersfüßen wandelte, war übrigens nicht nur mir aufgefallen, sondern auch Trixie, mit der ich mir seit zweieinhalb Jahren das Büro teilte.
„Katrin“, sagte sie neulich und zwinkerte mir zwischen unseren Monitoren zu. „Ich glaube, bei Oliver ist frauentechnisch was im Busch!“
Trixie musste das wissen, denn trotz ihrer zarten sechsundzwanzig Jahre war sie in Liebesdingen etwas bewanderter als ich. Als ich ihr – natürlich streng vertraulich - von Olivers Mail und unserer Verabredung am Freitagabend erzählte, kippte sie fast von ihrem Schreibtischstuhl.
„Du gehst mit Oliver zum Essen?!“
Sie kreischte so laut, dass nun vermutlich sogar die beiden Assistentinnen der Geschäftsführung im Büro am Ende des Ganges bestens informiert waren.
„Mit dem Chefredakteur persönlich? Oh, mein Gott! Du Beneidenswerte! Was gäbe ich dafür, wenn Oliver mir so eine Mail schreiben würde! Ich würde sie mir ausdrucken, in einem goldenen Rahmen an die Wand hängen und jeden Tag bebend vor ihr niederknien.“
Erwähnte ich bereits, dass Trixie bisweilen zu übertriebenen Emotionen neigte? Sie war leider furchtbar anstrengend, eine wahre Nervensäge. Sie redete zu viel, sie lachte zu laut, sie schminkte sich zu bunt und kleidete sich grässlich (mal im Ernst, wer kam denn auf die Idee, einen Mini-Plüschrock in Leopardenmuster mit einer lila Strumpfhose und dicken, leuchtend orangenen Sportschuhen zu kombinieren?). Und dann diese Ohrringe! Ihre Ohrmuscheln waren ein einziges Arsenal für Metallstecker und Gehänge aller Art. Zugetackert von oben bis unten. Am schlimmsten aber war ihre wöchentlich wechselnde Haarfarbe. Im Moment trug sie ihren ultrakurz geschorenen Schopf waldmeistergrün. In der vorigen Woche war er noch magentarot gewesen, davor karottengelb. Und an diesen Türkiston vom vergangenen Herbst mochte ich lieber gar nicht denken. Schlechter Geschmack hatte einen Namen: Trixie Bernhard.
Keine Ahnung, wie es dazu hatte kommen können, dass sie meine beste Freundin geworden war. Vermutlich, weil sie trotz ihrer verheerenden Optik der netteste Mensch war, dem ich auf diesem Planeten je begegnet war. Unsere Freundschaft hatte sich ziemlich flott entwickelt, seit dem ersten Tag, an dem sie in mein Büro hereingestiefelt war und gesagt hatte: „Hallo, ich bin Trixie, die neue Junior-Redakteurin, und ich arbeite ab heute auch hier.“
Trixie hatte nicht nur großartige Ideen für meine Interviews, sie konnte witzige Texte schreiben, arbeitete schnell und effizient und geriet dabei niemals in Stress, wie groß der Druck kurz vor der Sendung auch sein mochte. Außerdem hatte sie immer einen kessen Spruch auf den Lippen. Es war unmöglich, schlechte Laune zu haben, wenn sie in der Nähe war.
„Seit wann geht das schon mit dir und dem Boss?“, fragte Trixie, glücklicherweise ein paar Phon leiser. „Und warum hast du mir nie etwas davon erzählt?“
„Da geht noch gar nichts“, stellte ich klar. „Er hat mich lediglich gefragt, ob ich Zeit hätte, am Freitagabend mit ihm auszugehen.“
„Oh, das ist so cool! Ich platze vor Neugier. Ich wünschte, ich könnte dabei sein. Du musst mir anschließend jedes schmutzige Detail des Abends erzählen …“
Ach ja, ich vergaß: Neugier war auch eine von Trixies prägenden Eigenschaften.
„Ich weiß doch noch gar nicht, worum es geht“, bremste ich ihre Euphorie.
„Egal, was es ist. Sag einfach Ja! Oliver ist … der Hammer!“
Das war vor zwei Tagen gewesen, und am Freitagvormittag hatte ich mich noch immer nicht entschieden, wie ich auf eine Liebeserklärung seinerseits reagieren sollte. Die Vorstellung, dass mein Chef am Abend mit einer roten Rose zwischen den Zähnen vor mir auf die Knie sinken und etwas von unendlicher Liebe stammeln würde (konnte man überhaupt stammeln mit einem Blumenstängel im Mund?), war doch sehr gewöhnungsbedürftig. Aber irgendwie auch verlockend. Oliver war ein kluger, sympathischer Mann im richtigen Alter (zweiundvierzig), er sah sehr gut aus, groß, schlank, mit dunklen kurzen Haaren, und er trug stets – was ich an Männern grundsätzlich schätzte – perfekt sitzende Anzüge mit ausgesprochen geschmackvollen Krawatten zu tipptopp gepflegten Schuhen. Ich war überzeugt, dass alle Kolleginnen zwischen zwanzig und sechzig auf ihn standen. Offenbar auch Trixie.
Dabei war ich mir gar nicht sicher, ob ich wirklich verliebt war in Oliver. In dieser Sache war ich etwas aus der Übung. Ich war schon lange nicht mehr richtig verliebt gewesen, ungefähr seit zehn Jahren nicht mehr, seit ich mich während einer etwas außer Kontrolle geratenen Studentenparty in der Besenkammer unserer damaligen WG auf einen Typen namens Danny eingelassen hatte. Er arbeitete damals an der Bar eines angesagten Münchner Clubs, hatte optisch entfernt Ähnlichkeit mit Jake Gyllenhaal, und ich war aus Gründen, die ich später nicht mehr nachvollziehen konnte, völlig verrückt nach ihm. Ein Zustand, der zwei Tage nach unserem ersten und einzigen Abend abrupt endete, als er mir per SMS mitteilte, ich möge ihn bitte nicht weiter mit meinen Anrufen nerven, wir hätten doch beide gewusst, dass die Sache auf der Party nichts Ernstes gewesen sei, und im Übrigen habe er nur deshalb mit mir geflirtet, weil meine hübsche Freundin und Mitbewohnerin ihn kurz zuvor habe abblitzen lassen. Die folgenden Tage und Nächte verbrachte ich im Bett, zwischen Mord- und Selbstmordgedanken schwankend, bis mir die Taschentücher ausgingen. Danach war ich wochenlang in Panik, aus Angst, bei unserem etwas überstürzten Akt zwischen Staubsauger und einem Zwölferpack Klorollen schwanger geworden zu sein, was glücklicherweise dann doch nicht der Fall gewesen war.
Seit der traumatischen Sache mit Danny mied ich hochprozentigen Alkohol, laute Musik und Männer, die mir „Du bist ja eine ganz Süße“ oder etwas Vergleichbares ins Ohr flüsterten. Vor allem, wenn sie dabei die Türklinke zur Besenkammer in der Hand hielten.
Wenn ich aus der Geschichte mit Danny eines gelernt hatte, dann das: Im Leben und in der Liebe durfte man nichts dem Zufall überlassen. Es war wie in der Wissenschaft: Mischte man die falschen chemischen Stoffe, dann flog einem die Sache um die Ohren. Danny, ich und Johnny Walker – das war eine höchst unvernünftige Kombination gewesen, die doch nur in einer Katastrophe hatte enden können.
Im Grunde war es ganz einfach. Man musste eine Beziehung nüchtern und unter rationalen Gesichtspunkten angehen, dann funktionierte sie auch. Leider hatte ich den Mann mit den passenden Elementen noch nicht gefunden, obwohl ich eine ziemlich genaue Vorstellung von ihm hatte. Er sollte so ähnlich sein wie ich: intelligent, klug, vernünftig und jeder Art von irdischen Exzessen möglichst abgeneigt.
Ehrlich gesagt kam Oliver meinem Idealmann schon ziemlich nahe. Und sachlich betrachtet, hätte es sicherlich große Vorteile für mich, ein wie auch immer geartetes Verhältnis mit meinem Chef einzugehen. Vor allem in beruflicher Hinsicht. Allerdings war mir klar, dass Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz so ihre Tücken hatten. Man wusste bekanntlich nie, wie die Sache ausging, und wenn es blöd lief, dann wäre mein Lover auf einmal mein Ex-Lover, aber als Chef bliebe er weiterhin mein Chef – und das war keine sehr angenehme Vorstellung. Bevor ich wieder einen Fehler machte, wollte ich eigentlich lieber solo bleiben.
Insofern war die Verliebtheitsoption nicht meine erste Wahl. Es wäre mir tatsächlich angenehmer gewesen, wenn doch etwas Berufliches hinter Olivers Einladung steckte. Möglicherweise würde meine Karriere ja an diesem Abend endlich den lang ersehnten Schub erhalten, und er würde mir eine höchst interessante Führungsposition anbieten. Den Posten der stellvertretenden Redaktionsleitung zum Beispiel, der demnächst frei wurde, wie ich gehört hatte, weil die bisherige Kollegin angeblich zum nächsten Ersten an die Spitze der Presseabteilung wechselte. Das wäre durchaus ein Grund, um sich in einem schicken Lokal zu treffen und die Angelegenheit in aller Ruhe zu besprechen. Ohne die neugierigen Augen und Ohren der Kollegen konnte man die Details eines hochdotierten Vertrags doch viel besser aushandeln. Wobei das Beste an dieser Position gar nicht mein künftiges üppiges Gehalt wäre, sondern die Tatsache, dass ich als Olivers Stellvertreterin gleichzeitig auch Ramona Hieblers Vorgesetzte würde! Ich sah sie schon vor mir, wie sie hyperventilierte vor Neid. Aber damit würde ich klarkommen.
Ramona war eine äußerst ehrgeizige Kollegin, die ihre schlichte Auffassungsgabe durch ein üppiges Selbstbewusstsein und eine große Klappe ausglich, wobei sie nicht müde wurde zu erwähnen, dass sie bei der Endausscheidung zur „Miss Niederbayern-Oberpfalz“ im Jahr 2015 den zweiten Platz erzielt hatte. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, Popsängerin zu werden. Sie hatte sich vor einigen Jahren bei einem Casting für eine Girl-Group beworben, war aber schon in der ersten Runde rausgeflogen, weil sie an mehreren grundlegenden Anforderungen gescheitert war. An der Fähigkeit zu singen beispielsweise. Aber sie konnte jeden an die Wand quatschen. Ramona moderierte gelegentlich das vormittägliche Haushalts-Magazin bei Hello-TV („Zwischen Topf und Tulpe“) und glaubte allen Ernstes, dass sie bald die ganz große Fernsehkarriere machen würde. Nur weil sie zugegebenermaßen sehr schöne Beine und lange blonde Haare hatte! Nun ja, sobald ich erst mal ins Leitungsteam unserer Redaktion aufgestiegen wäre, würde ich sie auf Normalnull zurechtstutzen. Einer musste es allmählich mal tun.
Aber ehrlich gesagt, am allerliebsten war mir Punkt drei auf meiner Liste, die Sache mit dem Goldenen Griffel. Einmal für den wichtigsten deutschen Journalistenpreis nominiert zu sein – und dann natürlich bei der ganz großen Gala damit geehrt zu werden: „Der Goldene Griffel im Bereich informative Unterhaltung geht in diesem Jahr an – Katrin Faber!“ Tosender Applaus. Blitzlichtgewitter. Ich stehe auf der Bühne und recke die Trophäe in die Höhe. Das war mein größter Wunsch. Mein Lebenstraum. Mehr ging nicht, und meine Eltern wären auch begeistert. Ich wusste sogar schon, wie ich die ersten Sätze meiner Dankesrede formulieren würde.
In diesem Fall würde ich mich vielleicht sogar dazu hinreißen lassen, mit Oliver ein Glas Champagner zu trinken.
Allmählich wurde es Zeit für eine große berufliche Auszeichnung. Ich war dreiunddreißig Jahre alt und hatte inzwischen meine eigene Sendung bei Hello-TV. Seit ein paar Jahren arbeitete ich als Moderatorin, und ich war ziemlich gut. Im vorigen Jahr hatte ich im Ranking einer Programmzeitschrift auf Platz vierundzwanzig der beliebtesten TV-Moderatoren Deutschlands gelegen! (Die Statistik ging zwar nur bis Platz fünfundzwanzig, aber immerhin.) Meine Sendung hieß „Spaziergang mit Katrin“ und wurde regelmäßig am frühen Montagabend ausgestrahlt. Dazu reiste ich durch die Republik und unterhielt mich mit mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, während ich mit ihnen am Rhein entlang oder durchs Brandenburger Tor schlenderte, in einem Schiff über den Bodensee tuckerte oder sonst wo gemütlich unterwegs war. Ich liebte diese Sendung! Meine Interviews waren legendär. Vor meiner Kamera hatte der Vorstandschef eines großen Dax-Konzerns zugegeben, dass die Jahresbilanz seines Unternehmens doch nicht so rosig ausfallen würde wie erwartet, und ein Top-Stürmer von Bayern München hatte durchblicken lassen, dass er in der nächsten Saison zu Manchester United wechseln würde. Und die Kanzlerin hatte ein brisantes Gesetzesvorhaben im Bereich der Inneren Sicherheit angekündigt, bevor auch nur der zuständige Minister darüber informiert gewesen war. Was für ein Skandal! Wochenlang hatten die Zeitungen meine Sendung zitiert. Sogar der SPIEGEL. Das war zwar schon drei Jahre her, aber ich war immer noch stolz darauf. Allein für diese Geschichte hätte ich längst mit dem Goldenen Griffel ausgezeichnet werden müssen. Ich war mir sicher: Bis dahin war es nur noch eine Frage der Zeit. Und vielleicht war es tatsächlich nur noch eine Frage von Stunden, bis ich von meiner Nominierung erfahren würde.
Was immer mir Oliver heute sagen mochte, dieser Abend würde einer der wichtigsten und wunderbarsten in meinem Leben werden.


2.
„Wie schön, dich zu sehen, Katrin!“
Oliver erwartete mich an einem lauschigen Ecktisch, als ich pünktlich um drei Minuten nach 20 Uhr das Il Fiore dolce betrat. Das kleine Restaurant war gut besucht, der Raum erfüllt vom Gemurmel der Gäste und von leiser klassischer Geigenmusik, die aus unsichtbaren Lautsprechern ertönte. Eigentlich hätte ich auch schon zehn Minuten eher im Lokal sein können, denn ich hatte gar nicht lange mit dem Auto herumkurven müssen, sondern wundersamerweise gleich an der nächsten Straßenecke einen geräumigen Parkplatz gefunden. Wenn das nicht mal ein gutes Omen war! Aber ich hatte es wohlweislich bleiben lassen, vor dem vereinbarten Zeitpunkt hier aufzuschlagen. Sonst hätte Oliver womöglich gedacht, ich wäre ungeduldig und könnte es gar nicht erwarten zu erfahren, was er mit mir besprechen wollte. Nur das nicht! Ich hielt Selbstbeherrschung für eine sehr wichtige Tugend. Deshalb hatte ich mir im Auto noch den Verkehrsbericht und die erste Meldung der Acht-Uhr-Nachrichten angehört, bevor ich in aller Ruhe ausstieg und ins Lokal schlenderte.
„Hallo, Oliver!“
Merkwürdigerweise bekam ich auf einmal Herzklopfen, als ich an den Tisch trat. Das konnte ich mir nun wirklich nicht erklären. Ich traf einen Mann, mit dem ich seit sieben Jahren täglich zusammenarbeitete, zum Abendessen in einem Lokal. Was genau sollte daran aufregend sein? Trotzdem bekam ich feuchte Hände, als mir der Kellner den Mantel abnahm und ich mich meinem Chef gegenüber auf den weiß gepolsterten Stuhl mit der hohen Rückenlehne setzte. Auf der blütenweißen Tischdecke standen zwischen den beiden gestärkten Stoffservietten und dem blanken Besteck eine schlanke weiße Kerze und eine kleine Glasvase mit drei rosa Röschen. Ich fragte mich, ob Oliver die Deko selbst so arrangiert hatte. Aber hätte er dann für diesen Abend nicht eher rote Rosen geordert?
Oliver sah wirklich fantastisch aus. Taubenblauer Anzug, weißes Hemd und eine hellblaue Krawatte mit winzigen weißen Segelbooten darauf. Wenn mich nicht alles täuschte, war er sogar noch beim Friseur gewesen. Außerdem hatte er heute so etwas angenehm Entschlossenes im Blick. Auf einmal fand ich Punkt eins meiner Liste gar nicht mehr so unerstrebenswert. Vielleicht war es doch mal wieder an der Zeit, sich zu verlieben. Soweit ich es in Erinnerung hatte, war das ein wunderbares Gefühl. Und mit Oliver an meiner Seite würde ich über das Malheur mit Danny bestimmt endgültig hinwegkommen.
Als er zu lächeln begann, wurde mir warm ums Herz, und auf einmal wusste ich, es war nicht Option eins. Es waren Option eins, zwei und drei gleichzeitig! Natürlich! Er würde mir zuerst seine Liebe gestehen, mir dann die stellvertretende Redaktionsleitung antragen und schließlich meine Nominierung für den Goldenen Griffel bekannt geben! Ich war so glücklich. Ich war die Beste. Das Leben fühlte sich großartig an.
Leider hielt sich Oliver erst noch mit etwas Small Talk auf. Ob ich problemlos hergefunden hätte. Ob ich meine Interviewtermine für die kommende Woche schon vorbereitet hätte. Ob ich auch eine Vorspeise nehmen wolle. Solche Sachen. Ich nickte und bejahte alles. Dann suchten wir das Essen und die Getränke aus (ich nahm Mineralwasser, um für die Vertragsverhandlungen einen kühlen Kopf zu behalten) und sprachen auch noch übers Wetter (matschiger Schneeregen, wie so oft im Januar in München). Als ob das irgendwie von Bedeutung gewesen wäre angesichts der Tatsache, dass er mich in wenigen Minuten zur wichtigsten Frau seines Lebens erklären würde.
Nach Crespelle mit Parmesan-Auberginen und Saltimbocca alla Romana kam Oliver dann endlich zur Sache.
„Also Katrin“, sagte er, nachdem der Kellner unsere Teller weggeräumt hatte, und schob sein Weinglas zur Seite. „Ich möchte etwas mit dir bereden.“
Ich nickte. Das hatte ich ja erwartet. Die Frage war nur, welchen Punkt meiner Liste er als Erstes ansprechen würde. „Es geht um deine Sendung.“ Ich hielt die Luft an. Also doch gleich die Nominierung für den Goldenen Griffel? Mir wurde ein wenig schwindelig vor lauter Vorfreude.
„Ja“, hauchte ich. „Was genau meinst du?“
Dabei wusste ich es doch schon. Dabei wusste ich es doch schon ganz genau!
Oliver sah mich einen Moment lang schweigend an. Sein Lächeln verrutschte.
„Ich bin mit den Einschaltquoten deiner Show nicht zufrieden, Katrin. Wir verlieren Marktanteile. Acht Komma drei Prozent waren es vorige Woche für den Spaziergang. Das ist desaströs. Fast fünf Prozentpunkte weniger als im Sommer. Und vor einem Jahr lagen wir noch bei über fünfzehn Prozent. Ich beobachte den Trend schon seit Längerem. Ich weiß, dass du alles für deine Sendung tust, aber ich glaube, das reicht nicht.“
Ich starrte Oliver an. Das klang überhaupt nicht nach dem Goldenen Griffel. Verdammt. Mein Atem wurde flach. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass er mir vor ein paar Monaten schon mal etwas von abgesackten Marktanteilen erzählt hatte. Damals hatte ich das für eine vorübergehende Erscheinung gehalten. Und das hoffte ich immer noch. Ich holte tief Luft.
Vermutlich würde Oliver mir jetzt vorschlagen, dass ich die stellvertretende Redaktionsleitung übernehmen sollte. Zusätzlich zu meiner Sendung natürlich, auf dass mir die Führungsposition den nötigen neuen Schwung für meine Interviews geben und die Quoten wieder besser werden würden.
„Wir müssen uns auf etwas Neues einlassen“, fuhr Oliver mit gesenkter Stimme fort. „Ganz anders denken. Radikal durchstarten.“ Er zögerte einen Moment. „Ich habe lange überlegt, wie ich es dir sagen soll …“
Okay, dann war es wohl doch die Liebeserklärung. Aber warum hatte er dabei einen so nachdenklichen Gesichtsausdruck?
„Ramona Hiebler wird deine Sendung übernehmen, Katrin. Es tut mir leid, aber das ist das Beste für alle Beteiligten. Die abgedrehten Interviews mit dir werden wir natürlich noch ausstrahlen, aber ab Februar macht Ramona die Show. Ich habe schon mit ihr darüber gesprochen. Wir werden der Sache eine völlig neue Anmutung geben. Weniger Politik, mehr Boulevard. Mehr Biss. Mehr Sex-Appeal. Ramona ist genau die Richtige dafür.“
Ich fühlte mich, als würde mir der letzte Schluck Mineralwasser im Mund gefrieren.
„Ramona?“, krächzte ich. „Ramona soll - meine Sendung bekommen? Oliver! Das kann doch nicht …“
„Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist, Katrin. Aber wir haben keine andere Wahl. Nimm es bitte nicht persönlich.“
Fragte sich nur, wie ich es sonst nehmen sollte.
Ich versuchte mich krampfhaft an die drei Punkte auf meiner Wahrscheinlichkeitsliste zu erinnern. Leider waren sie in meinem Hirn implodiert. Aber ich wusste ganz genau, dass die Option Oliver schmeißt mich raus, und Ramona macht Karriere nicht darauf stand.
„Natürlich bleibst du Hello-TV als Moderatorin erhalten“, erklärte Oliver, nachdem er in Ruhe einen Schluck Wein getrunken hatte. „Wir wissen doch, was wir an dir haben. Du bist Profi. Du arbeitest seriös, gewissenhaft, unbestechlich. Du wirst eine Sendung bekommen, in der du deine Kernkompetenzen aufs Vortrefflichste einsetzen kannst.“
Er machte eine Pause, und ich überlegte fieberhaft, was er wohl meinen könnte. Vielleicht handelte es sich um eine politische Talkshow. Zur besten Sendezeit natürlich. Brisante Themen, prominente Studiogäste, gern international. Okay. Wenn das der Deal war, konnte ich damit durchaus leben. Sofern die stellvertretende Redaktionsleitung Teil des Vertrags war. Aber noch bevor ich zu Ende gedacht hatte, sprach Oliver weiter:
„Du wirst vom nächsten Monat an das ‚Kaleidoskop’ moderieren.“
Es schien mir, als würde mein Kopf zerspringen. „Das – Kaleidoskop!?“
Oliver nickte. Er sah jetzt sehr entspannt und zufrieden aus, als sei gerade eine große Last von ihm genommen worden. Er lächelte sogar wieder.
Ich wollte sterben. Das Kaleidoskop war das Seniorenmagazin von Hello-TV. Jeden Freitag zwischen 15 und 16 Uhr 30 befasste sich die Sendung eingehend mit aktuellen Pflegeprodukten für dritte Zähne, mit seniorengerechter Schonkost, den neuesten Techniken bei Rollatoren, dem Für und Wider eines Lebens im Altersheim und solchen Sachen.
„Du machst einen Scherz, nicht wahr, Oliver?“
Es konnte nur ein Scherz sein. Ich wollte durch die Republik reisen und spannende Interviews mit wichtigen Leuten führen, ich wollte Skandale aufdecken, über die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft berichten, für Gesprächsstoff sorgen und Diskussionen auslösen. Ich wollte definitiv nicht auf einem Sessel sitzen und eine Sendung moderieren, deren Publikum halb taub, halb blind und möglicherweise auch schon halb tot war.
„Oliver“, jaulte ich, als er nicht antwortete, sondern mich nur mit einem entschuldigenden Blick bedachte. „Wieso sollte ausgerechnet ich das Kaleidoskop moderieren?“
„Weil du die Beste dafür bist, Katrin. Du weißt doch, dass Eberhard demnächst in Rente geht. Die Geschäftsführung will unbedingt eine Frau auf dieser Position, aber die Kollegin, die eigentlich seine Nachfolge antreten sollte, hat uns hängen lassen. Carla hat ihren Vertrag kurzfristig gekündigt, weil sie zur Konkurrenz wechselt. Sehr ärgerlich. Wir müssen jetzt ganz schnell handeln. Und da habe ich sofort an dich gedacht.“
Oliver lächelte, als hätte er mir gerade den größten Herzenswunsch meines Lebens erfüllt.
„Katrin“, fuhr er fort, während ich schwieg, fassungslos über seine kapitale Fehleinschätzung. „Ich weiß gar nicht, wo dein Problem liegt. Das Kaleidoskop ist äußerst beliebt bei der kaufstarken und werberelevanten Zielgruppe der Fünfundfünfzig- bis Fünfundsiebzigjährigen. Stabile Quoten seit Jahren. Und bedenke doch mal, das Ganze ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Zwanzig Millionen Menschen in Deutschland sind heute im Rentenalter oder kurz davor, und die Tendenz ist weiter steigend. Da brauchen wir eine Top-Moderatorin. Die alten Leute lieben diese Sendung. Sie sind unendlich dankbar, dass es in Zeiten von Internet, YouTube und Twitter bei Hello-TV noch ein traditionelles Fernsehmagazin gibt, dem sie in Ruhe folgen können.“
Oliver überschlug sich fast vor Begeisterung. Ich fragte mich, weshalb er diese Supersendung nicht selbst moderierte.
„Aber Oliver. Ich bin dreiunddreißig. Ich habe keine Ahnung von alten Leuten.“
„Du wirst da hineinwachsen, Katrin. Ich bin mir ganz sicher. Eberhard wird dich in den nächsten Wochen noch einarbeiten. Er hat die Show dreizehn Jahre lang moderiert, er kennt sich aus. Du wirst sehen, wie gut dir die Sendung gefallen wird. Du bist genau die richtige Frau dafür: ernsthaft, sachlich, ruhig, glaubwürdig, kultiviert …“
Kurzum: sterbenslangweilig. Ein klarer Fall fürs Oma-TV.
Aber so einfach gab ich nicht auf.
„Stopp mal!“, rief ich. „Gerade diese Eigenschaften qualifizieren mich für den Spaziergang. Niemand in der Redaktion bereitet sich auf seine Sendung so gewissenhaft vor wie ich. Ich führe Interviews auf höchstem journalistischem Niveau. Ich habe den Spaziergang zu der anspruchsvollen Sendung gemacht, die sie heute ist …“
„Du hast völlig recht, Katrin, und genau das ist mein Problem: Die Leute haben keine Lust auf Anspruch und Niveau, sie wollen nicht über Probleme nachdenken, sie wollen sich einfach unterhalten. Sie wollen sich amüsieren, sie wollen staunen, sie wollen überrascht werden. Sie wollen verrückte Sachen sehen – und keine Interviews, die so trocken ablaufen wie eine naturwissenschaftliche Versuchsanordnung. Deine Gespräche sind in letzter Zeit ein bisschen … langweilig geworden. Kein Skandal, kein Aufreger. Alles so brav. Wir brauchen mehr Spontaneität, mehr Mut, mehr Gefühl, mehr Witz, mehr Action.“
Das Wort „Action“ begleitete er mit einer lebhaften Geste, bei der er beinahe mein Wasserglas umgestoßen hätte.
„Versteh mich nicht falsch“, fuhr er fort. „Du hast deinen Job bisher sehr gut gemacht. Aber die Zeiten ändern sich eben. Und wir müssen uns darauf einstellen, wenn wir mit dem ‚Spaziergang’ nicht vollends in den Quotenkeller abstürzen wollen.“
„Moment!“, protestierte ich. „Ich habe kein Problem damit, wenn meine Sendung ein neues Konzept bekommt. Lass mich dabei sein. Ich bin doch kreativ. Ich könnte Ideen entwickeln. Ich bin offen für alles.“
„Wir haben uns schon einiges ausgedacht, Katrin. Und ich bezweifle sehr, dass die neue Sendung noch etwas für dich wäre. Sie wird ziemlich frech und schräg. Wie gemacht für Ramona. Oder hättest du etwa Lust, in knappen Klamotten auf einem Skatebord durch die Gegend zu rollen und mit Stars und Sternchen über Schönheits-OPs oder ihren ersten Orgasmus zu plaudern?“
Ich starrte ihn mit offenem Mund an.
Nein, danke. Da wollte ich tatsächlich lieber mit einem hundertjährigen Opa über Inkontinenz reden.
Ich war so entsetzt, dass ich noch nicht mal den Kopf schütteln konnte. Meine Sendung war tot. Meine Karriere lag in Trümmern. Der Traum vom Goldenen Griffel hatte sich mit einem Knall in Luft aufgelöst.
„Hey“, sagte Oliver und legte für einen Moment seine Hand auf meine. „Alles in Ordnung mit dir?“
Ich nickte tapfer, worauf er seine Hand zurückzog und den letzten Schluck aus seinem Weinglas trank.
„Sehr gut. Ich freue mich, dass du dich so kooperativ verhältst. Ich war mir nicht sicher, wie du reagieren würdest, deshalb hielt ich es für eine gute Idee, mit dir über diese kleine Veränderung außerhalb der Redaktionsräume zu sprechen.“
Ich nickte noch mal und versuchte etwas, das wie ein Lächeln aussehen sollte. Dabei hätte ich Oliver am liebsten die Vase mit den drei kleinen Röschen gegen den Kopf geworfen. Und den Kerzenständer gleich hinterher. Aber natürlich beherrschte ich mich.

3.
Ich war keine Frau, die zu Depressionen neigte, wenn etwas schieflief im Leben. Alkohol ist keine Lösung, sondern verursacht langfristig noch mehr Probleme, wie man weiß, und auf dem Sofa zu liegen und zu heulen macht nur einen fleckigen Teint. Also ließ ich es bleiben.
In den vergangenen Jahren hatte ich zuverlässige Strategien entwickelt, um persönliche oder berufliche Tiefschläge zu verarbeiten und wieder bessere Laune zu bekommen:

1. Ich sortierte die Belege für meine Steuererklärung.
2. Ich studierte eingehend sämtliche Fachzeitschriften, die ich abonniert hatte, zum Beispiel „Journalismus heute“, „Politik in der Gegenwart“ oder „Wissenschaft und Forschung aktuell“, um neue Ideen für meine Interviews zu bekommen.
3. Ich putzte den Backofen (inklusive Grillspirale).

Normalerweise entspannte es mich ungemein, das Chaos in meiner Schublade zu ordnen, in der ich übers Jahr all den Zettelkram sammelte, der bei meiner Arbeit als vielbeschäftigte Journalistin anfiel: Flug- und Bahntickets, Tankbelege, Restaurantrechnungen, Kassenbons … Ich liebte es, auf diese Weise noch einmal die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen, mich an das eine oder andere tolle Interview zu erinnern und am Ende sämtliche Papiere für das Finanzamt korrekt geordnet und abgeheftet vor mir liegen zu sehen.
Aber am Tag nach meinem desaströsen Abend mit Oliver konnte mich selbst diese Tätigkeit nicht aufheitern, so sehr ich mich auch bemühte. Während ich meine Quittungen durchforstete, dachte ich die ganze Zeit: Nie wieder!
Nie wieder würde ich nach Frankfurt fahren, um mit einer Top-Bankerin darüber zu sprechen, wie das so ist, als einzige Frau im oberen Management zu arbeiten. Nie wieder würde ich nach Köln fliegen, um mich mit einem Karnevalsprinzen über die historischen Ursprünge von Alaaf und Helau zu unterhalten. Nie wieder würde ich mit Wissenschaftlern in München, Stuttgart oder sonst wo über Maßnahmen gegen den Klimawandel reden oder über diese neue Mini-Bärenart, die kürzlich im brasilianischen Dschungel entdeckt worden war. Oder was auch immer. Nie wieder. Nie wieder! Es war zum … nein, nein, natürlich heulte ich nicht. Ich war ja eine starke, vernünftige Frau. Hysterisch zu werden oder in ein großes Wehklagen auszubrechen hatte noch niemandem geholfen. Und dass ich jetzt mal ein Taschentuch benutzen musste, lag nur daran, dass mir ein Staubkorn ins Auge geflogen war.
Leider half mir Punkt zwei meiner Trostliste auch nicht weiter. Missmutig betrachtete ich den Stapel von Hochglanz-Fachzeitschriften, der auf meinem Schreibtisch lag. Dann warf ich ihn mit Schwung in den Papierkorb. Bye, bye, Politik und Wissenschaft. Wahrscheinlich sollte ich die Apotheken-Umschau ab sofort zu meiner Pflichtlektüre machen. Es konnte schließlich nicht schaden, als Moderatorin eines Seniorenmagazins über Arthrose, Demenz und Blasenschwäche genauestens Bescheid zu wissen.
Blieb noch Punkt drei. Ich wollte gerade überprüfen, ob es möglicherweise an der Zeit wäre, den Backofen mal wieder einer intensiven Komplettreinigung zu unterziehen, um einer erfreulichen, mich von meinen düsteren Gedanken ablenkenden Tätigkeit nachgehen zu können, als mein Handy klingelte.
„Mensch, Katrin“, schrie Trixie mir ins Ohr, kaum, dass ich „Ja, hallo“ gesagt hatte. Sie klang fidel wie immer. „Warum meldest du dich nicht? Ich sitze hier seit gestern Abend auf heißen Kohlen und warte auf deinen Anruf. Ich muss doch alles ganz genau wissen. Wie war dein Date mit Oliver? Habt ihr beide einen schönen Abend gehabt?“ An dieser Stelle kicherte sie anzüglich. „Ich nehme an, du hattest noch keine Zeit, dich zu melden, weil ihr zwei die ganze Nacht lang schwer beschäftigt gewesen seid, nicht wahr? Hach, ich habe vollstes Verständnis dafür, ihr beiden Turteltäubchen. Seid ihr jetzt wirklich so richtig … ich meine, muss ich jetzt ‚Sie’ zu dir sagen?“
„Ach, Trixie …“ Mir entwich ein tiefer, finsterer Seufzer.
„Uh …“ Das Lachen in ihrer Stimme verschwand abrupt. „Was heißt hier ‚Ach Trixie’? Was war los? Sag’s schon! Ist Oliver etwa - eine Niete im Bett?“
„Keine Ahnung, Trixie, wenn es doch nur das wäre! Aber glaub mir, es interessiert mich nicht die Bohne, wie Oliver im Bett ist.“
„Ups. Nicht? Erzähl mehr!“

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